Pentti Määttänen: Gefühlstöne

[:fi]Dr. Pentti Määttänen
Übersetzung Dr. Carola Häntsch


 

Verzerrte, aber dennoch erkennbare Gesichter spiegeln Angst, Schmerz und Hoffnungslosigkeit wider, die durch die veränderten Formen und Töne noch verstärkt zu werden scheinen. Im folgenden Bild ist Erkennbarkeit kaum noch gegeben, dennoch wird die emotionale Aufladung nicht geringer. Das ist typisch für die in Grautönen ausgeführten Tusche- und Kohlezeichnungen von Mika Karhu. Die fast bis ins Abstrakte transformierten Formen und Gestalten, die Rhythmen der Linien und der Tondifferenzen beeinflussen die Gefühle des Betrachters. Dadurch wird deutlich, dass die Berührung des Bildes mit der Wirklichkeit durch die Reduktion der Figurativität nicht verloren geht.

Emotionen sind keine inneren Zustände, die durch die Bildoberfläche von einem Menschen zu einem anderen übergehen. Die Gefühle sind nicht in den Pigmenten und auf dem Papier, die Emotionen verstecken sich nicht im Bild, um auf den nächsten Besucher zu warten. Antonio Damasio versteht Emotionen als Zeichen eines Werts. Zeichen ihrerseits sind Dinge, mit deren Hilfe die Menschen auch sonst miteinander kommunizieren, Gedanken austauschen, wie es oft heißt. Das ist eine metaphorische Redeweise, die man nicht buchstäblich nehmen darf. Die Gedanken verbergen sich ebenso wenig zwischen Papier und Drucktinte wie die Emotionen unter der Bildoberfläche. Andererseits bringen kunstvoll verwendete Formen, Töne und Striche Dinge dort zum Ausdruck, wo es auch Worte und Sätze tun. Sie sind Elemente in den Bedeutungsstrukturen, die das Denken der Dinge möglich machen.

Die der Bildkunst eigenen Bedeutungen sind nicht verbalisiert. Ihre Fähigkeit, Emotionen mitteilbar zu machen, basiert darauf, dass sie in einem festen Zusammenhang mit dem Handeln stehen. William James und John Dewey folgend kann man sagen, dass Emotionen Qualitäten des Handelns sind. Emotionen sind Zeichen eines Werts, d.h. sie verdeutlichen, zu welchen Werten eine bestimmte Handlung führen kann. Wie ist die Handlung nun aber mit den Formen und Farbklängen der Bildoberfläche verbunden? Das wird erst klar, wenn man die Wechselwirkung zwischen Mensch und Welt in ihrer Gesamtheit untersucht. Die Handlung wird mit Hilfe von Beobachtungen ausgerichtet. Eine frühere Erfahrung macht uns einsichtig, zu welchen Folgen eine bestimmte Handlung in einer zurückliegenden ähnlichen Situation geführt hat. Motive des Handelns sind verschiedene physische und soziale Bedürfnisse. Im Hinblick auf die Befriedigung dieser Bedürfnisse kann das Handeln zu negativen oder positiven Folgen führen. Diese Erfahrungen mit früher realisierten Werten erscheinen als Emotionen, die bei der Antizipation kommender Verwirklichungen und Erfüllungen von Werten helfen. Stendhal sagte seinerzeit, dass Schönheit das Versprechen des Glücks ist. Auf einer etwas allgemeineren Ebene könnte man sagen, dass die ästhetische Erfahrung die Verheißung der Vollendung ist. Ästhetische Werte sind nicht losgelöst von den anderen Werten des Lebens.

Alle Qualitäten sind mit nonverbalen Bedeutungen aufgeladen. Diese Bedeutungen gründen sich auf eine Erfahrung, die eigentlich die gesamte Evolution umfasst. Bei der Beschreibung dieser akkumulierten Erfahrung und der von ihr hervorgerufenen Emotionen stützte sich Dewey auf das deutsche Wort „Gefühlston“. Die nonverbalen Bedeutungen und die mit ihnen verbundenen Emotionen, die der Gefühlston ausdrückt, basieren in der Tat auf einer Erfahrung, die sich durch die gesamte Evolution zieht. Diese Erfahrung wird von den Bedeutungen, die sich zu Kulturen verdichten, natürlich auf die verschiedenste Art und Weise modifiziert. Dieses vielschichtige Geflecht von Bedeutungen verschiedener Ebenen ist für das bewusste Denken zum größten Teil unerreichbar.

Dennoch steigen die Ergebnisse des unterbewussten nonverbalen Denkens als Emotionen in das Bewusstsein auf. Diese Emotionen vermitteln Einsichten, die durch die Kunst mitgeteilt werden können. Mit Hilfe dieser Einsichten können Möglichkeiten der Erfüllung antizipiert werden, die mit den beobachteten Qualitäten verknüpft sind.

Der Gebrauch nonverbaler Bedeutungen für die Vermittlung von Erfahrungen unterscheidet sich letztlich nicht entscheidend vom Sprachgebrauch. Der Schriftsteller arrangiert Worte nacheinander und modifiziert den Text, bis das Endergebnis gut erscheint und er den besten Ausdruck für seine Gedanken gefunden hat. Die Aufgabe des Lesers ist es, auf der Grundlage seines Erfahrungsschatzes die Intentionen des Schriftstellers zu interpretieren. Die Paßfähigkeit der Gedanken kann nur darauf basieren, dass der Schriftsteller und der Leser gleichartige Vorstellungen von den Bedeutungen haben, die dem Text inhärent sind. Die Gemeinsamkeit dieser Bedeutungen setzt gemeinsame und geteilte Erfahrungen voraus, die Aneignung derselben Sprache und Kultur. Das Verständnis einer fremden Sprache und Kultur erfordert spezifische Anstrengungen, um eine gemeinsame Basis zu finden.

Die besondere Fähigkeit des Künstlers aber besteht darin, dass er die nonverbalen Bedeutungen als Mittel des Denkens auch dann gebrauchen kann, wenn das Denken im Unterbewussten bleibt. Durch die Bearbeitung der Bildoberfläche konstruiert er seine eigene Erfahrung. Indem er die Anordnung und die Rhythmen der Formen, Töne und Linien bestimmt, beeinflusst er mit Hilfe der nonverbalen Bedeutungen seine eigenen Emotionen, die von den Ergebnissen jenes Denkens erzählen. Die nonverbalen Bedeutungen wirken als Unterströmungen der kulturellen Unterschiede. Ihre Gemeinsamkeit gründet sich auf frühere Erfahrungen. Gerade deshalb kann die Kunst ein Einverständnis zwischen verschiedenen Kulturen hervorbringen. Die Bedeutungen der Kunst sind das gemeinsame Eigentum aller.

Repräsentation und der Gebrauch von Symbolen produzieren eine neue Schichtung, und als Ergebnis entsteht eine Verdichtung von Bedeutungen, Werten und Emotionen, die viel aussagt über die Welt, die Gesellschaft und die Art und Weise, sie zu erfahren. Bei der Betrachtung der Werke von Mika Karhu kann man sich davon überzeugen, dass die Kunst ein wirksames Mittel des kritischen Denkens und der Kommunikation sein kann.[:en]Dr. Pentti Määttänen
Übersetzung Dr. Carola Häntsch


Verzerrte, aber dennoch erkennbare Gesichter spiegeln Angst, Schmerz und Hoffnungslosigkeit wider, die durch die veränderten Formen und Töne noch verstärkt zu werden scheinen. Im folgenden Bild ist Erkennbarkeit kaum noch gegeben, dennoch wird die emotionale Aufladung nicht geringer. Das ist typisch für die in Grautönen ausgeführten Tusche- und Kohlezeichnungen von Mika Karhu. Die fast bis ins Abstrakte transformierten Formen und Gestalten, die Rhythmen der Linien und der Tondifferenzen beeinflussen die Gefühle des Betrachters. Dadurch wird deutlich, dass die Berührung des Bildes mit der Wirklichkeit durch die Reduktion der Figurativität nicht verloren geht.

Emotionen sind keine inneren Zustände, die durch die Bildoberfläche von einem Menschen zu einem anderen übergehen. Die Gefühle sind nicht in den Pigmenten und auf dem Papier, die Emotionen verstecken sich nicht im Bild, um auf den nächsten Besucher zu warten. Antonio Damasio versteht Emotionen als Zeichen eines Werts. Zeichen ihrerseits sind Dinge, mit deren Hilfe die Menschen auch sonst miteinander kommunizieren, Gedanken austauschen, wie es oft heißt. Das ist eine metaphorische Redeweise, die man nicht buchstäblich nehmen darf. Die Gedanken verbergen sich ebenso wenig zwischen Papier und Drucktinte wie die Emotionen unter der Bildoberfläche. Andererseits bringen kunstvoll verwendete Formen, Töne und Striche Dinge dort zum Ausdruck, wo es auch Worte und Sätze tun. Sie sind Elemente in den Bedeutungsstrukturen, die das Denken der Dinge möglich machen.

Die der Bildkunst eigenen Bedeutungen sind nicht verbalisiert. Ihre Fähigkeit, Emotionen mitteilbar zu machen, basiert darauf, dass sie in einem festen Zusammenhang mit dem Handeln stehen. William James und John Dewey folgend kann man sagen, dass Emotionen Qualitäten des Handelns sind. Emotionen sind Zeichen eines Werts, d.h. sie verdeutlichen, zu welchen Werten eine bestimmte Handlung führen kann. Wie ist die Handlung nun aber mit den Formen und Farbklängen der Bildoberfläche verbunden? Das wird erst klar, wenn man die Wechselwirkung zwischen Mensch und Welt in ihrer Gesamtheit untersucht. Die Handlung wird mit Hilfe von Beobachtungen ausgerichtet. Eine frühere Erfahrung macht uns einsichtig, zu welchen Folgen eine bestimmte Handlung in einer zurückliegenden ähnlichen Situation geführt hat. Motive des Handelns sind verschiedene physische und soziale Bedürfnisse. Im Hinblick auf die Befriedigung dieser Bedürfnisse kann das Handeln zu negativen oder positiven Folgen führen. Diese Erfahrungen mit früher realisierten Werten erscheinen als Emotionen, die bei der Antizipation kommender Verwirklichungen und Erfüllungen von Werten helfen. Stendhal sagte seinerzeit, dass Schönheit das Versprechen des Glücks ist. Auf einer etwas allgemeineren Ebene könnte man sagen, dass die ästhetische Erfahrung die Verheißung der Vollendung ist. Ästhetische Werte sind nicht losgelöst von den anderen Werten des Lebens.

Alle Qualitäten sind mit nonverbalen Bedeutungen aufgeladen. Diese Bedeutungen gründen sich auf eine Erfahrung, die eigentlich die gesamte Evolution umfasst. Bei der Beschreibung dieser akkumulierten Erfahrung und der von ihr hervorgerufenen Emotionen stützte sich Dewey auf das deutsche Wort „Gefühlston“. Die nonverbalen Bedeutungen und die mit ihnen verbundenen Emotionen, die der Gefühlston ausdrückt, basieren in der Tat auf einer Erfahrung, die sich durch die gesamte Evolution zieht. Diese Erfahrung wird von den Bedeutungen, die sich zu Kulturen verdichten, natürlich auf die verschiedenste Art und Weise modifiziert. Dieses vielschichtige Geflecht von Bedeutungen verschiedener Ebenen ist für das bewusste Denken zum größten Teil unerreichbar.

Dennoch steigen die Ergebnisse des unterbewussten nonverbalen Denkens als Emotionen in das Bewusstsein auf. Diese Emotionen vermitteln Einsichten, die durch die Kunst mitgeteilt werden können. Mit Hilfe dieser Einsichten können Möglichkeiten der Erfüllung antizipiert werden, die mit den beobachteten Qualitäten verknüpft sind.

Der Gebrauch nonverbaler Bedeutungen für die Vermittlung von Erfahrungen unterscheidet sich letztlich nicht entscheidend vom Sprachgebrauch. Der Schriftsteller arrangiert Worte nacheinander und modifiziert den Text, bis das Endergebnis gut erscheint und er den besten Ausdruck für seine Gedanken gefunden hat. Die Aufgabe des Lesers ist es, auf der Grundlage seines Erfahrungsschatzes die Intentionen des Schriftstellers zu interpretieren. Die Paßfähigkeit der Gedanken kann nur darauf basieren, dass der Schriftsteller und der Leser gleichartige Vorstellungen von den Bedeutungen haben, die dem Text inhärent sind. Die Gemeinsamkeit dieser Bedeutungen setzt gemeinsame und geteilte Erfahrungen voraus, die Aneignung derselben Sprache und Kultur. Das Verständnis einer fremden Sprache und Kultur erfordert spezifische Anstrengungen, um eine gemeinsame Basis zu finden.

Die besondere Fähigkeit des Künstlers aber besteht darin, dass er die nonverbalen Bedeutungen als Mittel des Denkens auch dann gebrauchen kann, wenn das Denken im Unterbewussten bleibt. Durch die Bearbeitung der Bildoberfläche konstruiert er seine eigene Erfahrung. Indem er die Anordnung und die Rhythmen der Formen, Töne und Linien bestimmt, beeinflusst er mit Hilfe der nonverbalen Bedeutungen seine eigenen Emotionen, die von den Ergebnissen jenes Denkens erzählen. Die nonverbalen Bedeutungen wirken als Unterströmungen der kulturellen Unterschiede. Ihre Gemeinsamkeit gründet sich auf frühere Erfahrungen. Gerade deshalb kann die Kunst ein Einverständnis zwischen verschiedenen Kulturen hervorbringen. Die Bedeutungen der Kunst sind das gemeinsame Eigentum aller.

Repräsentation und der Gebrauch von Symbolen produzieren eine neue Schichtung, und als Ergebnis entsteht eine Verdichtung von Bedeutungen, Werten und Emotionen, die viel aussagt über die Welt, die Gesellschaft und die Art und Weise, sie zu erfahren. Bei der Betrachtung der Werke von Mika Karhu kann man sich davon überzeugen, dass die Kunst ein wirksames Mittel des kritischen Denkens und der Kommunikation sein kann.[:]